#Dogmatik
Die Dogmatik ist eine zutiefst dynamische Disziplin.
Sie fragt nach den verbindenden und verbindlichen Kerninhalten des christlichen Glaubens, wie sie in der offiziellen Lehre der Kirche begegnen und für sich Geltung beanspruchen. Hier gilt es je neu zu unterscheiden und sachlich begründet zu entscheiden: Was gehört wesentlich und konstitutiv zu diesem Glauben – und was sind nur zeitlich, sprachlich und kulturell bedingte Artikulationsformen, die sich im Laufe der Zeit verändert haben und auch heute verändern könnten? Was muss aus heutiger Perspektive neu verstanden, neu gedeutet und aktualisiert werden? Und was muss um der Kontinuität und Identität willen bewahrt werden, um es in seiner Relevanz für hier und heute verständlich und glaub-würdig zu kommunizieren?
Insofern ist die Dogmatik immer auch eine Art Übersetzungsprozess und die systematisch-theologische Vermittlung zwischen historisch-kritisch betrachteter Überlieferung (zu der primär die Hl. Schrift gehört) und Neuerschließung angesichts einer sich stets wandelnden Erfahrungswelt und des Glaubenslebens einer globalen Glaubensgemeinschaft, deren Glaube sich immer schon geschichtlich entwickelt und bis zu einem gewissen Grad plural artikuliert hat. Die Dogmatik verbindet Tradition mit lebendiger Rezeption und zielt letztlich auf die soteriologische (d.h. erlösende, befreiende, heilsam erfüllende, sinnstiftende) Dynamik jener kreativen und lebensfördernden Wirklichkeit, die wir Gott nennen.
Es geht also nicht um stupides Hüten der „Asche“, sondern um die Weitergabe eines „Feuers“, das eine Raum und Zeit überschreitende Glaubensgemeinschaft seit nun fast 2000 Jahren beseelt und bewegt. Es geht um die Frage, wie man diesen Überlieferungsprozess mit seinen entscheidenden Wegmarken und verbindlichen Leitplanken (Dogmen) rational plausibel erschließen kann und aus heutiger Sicht deuten muss. Überlieferung und Kommunikation des Glaubens werden daher mit Hilfe wissenschaftlich fundierter Kriterien und Methoden interdisziplinär befragt und sachkritisch analysiert. Eine diagnostisch sensible, differenzierte Wahrnehmung der „Zeichen der Zeit“ bildet dabei die fundamentaltheologische Grundlage für eine zeitgemäße, vernunftbasierte und dialogfähige Theologie im interkonfessionellen und interreligiösen Gespräch mit pluralen Weltdeutungen. Die Zeugnisse der Vergangenheit treffen auf Erfahrungen der Gegenwart. In dieser lebendigen Begegnung offenbart sich je neu ein unerschöpflicher Überschuss von Sinn und ein Horizont der Hoffnung, der einen Resonanzraum für Beziehungen bietet.
Eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe der Dogmatik besteht zudem darin, jeder Art von Instrumentalisierung oder Missbrauch religiöser Sprache und Denkform klar zu widersprechen. Sie muss daher mit traditions- bzw. institutionskritischer Sachlichkeit jeder Form von Fundamentalismus, (Macht-)Missbrauch oder toxischer Religiosität entschieden entgegenwirken, weil diese Phänomene in einem objektiven Widerspruch zum wesentlichen Kern des christlichen Glaubens stehen: der Botschaft von der grenzenlosen Tragfähigkeit einer universalen Liebe Gottes, die in Jesus – dem Christus – begegnet, alle Menschen einlädt und in Freiheit zum Guten bewegen will, aber nie zwingen, verängstigen oder nötigen wird. Die zentrale Zusage dieses Glaubens lautet nämlich: Fürchtet euch nicht!
Prof. Dr. Markus Weißer