Clio luget

nach Gryphius, Logau, Harsdörffer und Hofmann von Hofmannswaldau sowie nach Art. 5 GG

Hier ruhet Herodot, der Vater der Geschichte.
Er ist schon lange tot. Doch Clio weint aufs neue:
"Daß ich von ihm berichte, das war mein täglich Brot.
Jetzt darf ich das nicht mehr. Ich pass' nicht ins Profil
der Universität. So lohnt man meine Treue.
Drum bleibt mir nur noch eins: daß ich mich selbst – bedichte."

Hier ruhet der Magisterstudiengang.
Er starb in seinen besten Jahren.
Woran er litt, hat keiner je erfahren.
Politiker befahlen seinen Grabgesang.

Hier ruht ein Ordinarius.
Er schrieb sein Leben lang nur Stuß.
Allein, weil er ein Ordinarius gewesen,
ward stets mit Andacht es gelesen.

Den Sachverstand von außen sollt' ich bringen.
Jetzt müssen mir davon die Ohren klingen.
Jetzt brauch' ich selber Rat: mich deckt ein schwerer Stein.
Wie? Sollt' ich schon so bald vergessen sein?

Hier ruht mein Schlaf, der mir entfloh,
er ruht - doch ich bin wach
und wälze schlaflos mich im Bette
und denke: "Ach,
wenn ich ihn doch nur wiederhätte!
Wie wäre schläfrig ich und froh!"

Am Sonntag pries man mich mit vielen schönen Worten.
Am Alltag aber schloß man vor mir zu die Pforten.
Der Schüler soll durch mich die Heimat lernen lieben.
Mich aber hat man aus der Heimat fortgetrieben.

Hier ruht in Frieden Arial, ganz auf den Hund gekommen.
Erst hat man ihr frech die Serifen fortgenommen.
Dann wollte sie entfliehn, doch gab's sie nicht kursiv.
Wo andre hätten laufen können, wurde sie nur schief.

Hier ruht die Promotion. Einst war sie grundsolide,
ein Hort der Wissenschaft, eine Gelehrtenschmiede.
Sie fordert' Herz und Hand von ihren Neophyten.
Sie prüfte rigoros, verlangte Geisteskraft
und breiten Wissensstand auf mehreren Gebieten.
Davon bleibt jetzt nur noch die Disputation.

Hier ruht das Studium, dem letzten Schlafe hingegeben,
denn mit Gebühren ward zu teuer ihm das Leben.

Hier ruht der Inn, ein lebensfroher Fluß,
der seinen Namen doch der Donau opfern muß.
Die Ilz muß ebenfalls den Namen büßen.
Doch nimmt die Donau ihre Perlen gerne an.
Drum merke: Leistung bringt dich nicht voran;
wer überleben will, muß träge fließen.

Hier ruhet eine Rezension.
Ihr Vater war ein böser, alter Mann,
der selber nichts mehr Kluges schreiben kann.
Drum gießt auf Jüngere er Spott und Hohn.

Hier ruht die Universität.
Sie lebte acht mal hundert Jahre
und brachte Weisheit uns und Lebensqualität.
Doch Bildung und Kultur gilt jetzt nur noch als Ware.
Drum warfen die Politiker sie auf die Bahre.
Bald wird sie 's reuen – doch die Reue kommt zu spät.

Hier ruhet die Ministerin,
die gern mit grüner Tinte niederschrieb,
was man in ihrer Nähe Böses trieb.
Jetzt ist sie hin.

P.S.: Statt Trauer tönt an ihrem Grab Triumphgeschrei:
"Das Kabinett ist nun fast frauenfrei!"

Hier ruhet die Entscheidung.
Erst stand sie wie ein Baum.
Dann hat man sie gefällt.
So kam sie aus der Welt.

Hier ruht das Wappen dieser Universität
in süßem Todesschlaf ...
Doch wer voll Trauer vor dem Grabmal steht,
beweint ein Kenotaph.

Hier ruhet Pegasus ganz still;
er folgte seinen Werken.
Wer heut' was publizieren will,
der braucht mehr Pferdestärken.

Hier ruht die Zeit. Sie hat es nicht verwunden,
daß Einstein sie als relativ befunden.
So ward sie krank und konnte nicht gesunden
und ist in einem Wurmloch nun verschwunden.

Hier ruhe ich, ein leiser Ton in einer lauten Zeit,
ein zarter Klang in einer Welt voll Eitelkeit:
was man nicht hört, traut man sich zu verletzen,
doch schweigt es dann, kann man es nicht ersetzen.
Drum, Freund, gute Nacht! Denkt sanft an mich zurücke
und weint nicht über mich - weint über meine Lücke!