Sektion 14
Carsten Sinner (Leipzig)
María José García Folgado (València)
Spanische Schulgrammatiken: Positionen, Modelle und Traditionen der Repräsentation der spanischen Sprache
Wie auch im Falle der anderen romanischen Sprachen – mit Ausnahme des Französischen (Chervel 1977 und 1998, Delasalle/Chevalier 1986) – ist den spanischen Schulgrammatiken für den Unterricht des Spanischen als Muttersprache in historiographischen Auseinandersetzungen aus der Perspektive der Didaktik, der Geschichte der Grammatikschreibung usw. bisher nicht die Aufmerksamkeit zugekommen, die ihnen gebührt (s. Brumme 2001, 99-100, 112, Sinner 2009a: 1). Arbeiten wie die von Martínez Marín (1999), Martínez Navarro, (1996), López Ferrero (1997), Calero Vaquera (2004 y 2009) oder García Folgado (2005, 2010) stellen Ausnahmen davon dar.
Diese fehlende Berücksichtigung ist auch der Grund für weitgehend fehlendes Wissen über zahlreiche Aspekte der Geschichte der Grammatik und der schulischen Vermittlung der spanischen Sprache, die zu einem besseren Verständnis vieler aktueller Erscheinungen sowohl im Bereich der Sprachwissenschaft als auch im Bereich der Didaktik des Sprachunterrichts beitragen könnten ebenso wie zu einer besseren Inbezugsetzung der beiden Bereiche, denn wie Mahmoudian (1976: 11) feststellt: „entre l’étude linguistique et l’application pédagogique, il y a du chemin à faire“. Wenn auch die französischen Schulgrammatiken oder Grammatiken für den Gebrauch durch Schüler allgemein nachgewiesenermaßen große Bedeutung für die Entwicklung oder – wie es Calero (2008, 2009) ausdrückt – die Revolution der spanischen Syntaxtheorie hatten, und obwohl kein Zweifel über den bedeutenden französischen Einfluss auf die spanischen Grammatiken besteht, ist dieser Prozess bisher nicht ausreichend untersucht worden. Calero (2009) zufolge stellt Sarmiento (1994) eine lobenswerte Ausnahme dar, wenn er hervorhebt, dass „la teoría sintáctica española del siglo xix es completamente subsidiaria de la francesa“ (1994, 170).
Nur ausnahmenweise ist bisher jedoch versucht worden, die Entwicklung der Darstellung der Sprache durch die Grammatiker im 19. Jahrhundert in den Schulgrammatiken und den Werken zur logischen und grammatikalischen Analyse nachzuvollziehen, den französische Einfluss zu untersuchen und seine Reichweite zu ermitteln. Ebenso ist es erforderlich, die Anhaltspunkte für die Verbreitung neuer Einstellungen oder Modellen der Darstellung der Morphologie und Syntax in den Schulgrammatiken selbst zu ermitteln. Somit ist es auch wichtig zu berücksichtigen, dass die pädagogischen Texte nicht den wissenschaftlichen Kenntnissstand, sondern die zu vermittelnden Kenntnisse repräsentieren (Chevallard 1997 [1991]). Es ist also zu berücksichtigen, dass die Ausarbeitung des zu erlernenden Wissens auf den wissenschaftlichen Postulaten der angrenzenden Disziplinen beruhen, im Fall der Grammatik also auf den linguistischen, philosophischen und auch historischen Studien, aber auch auf der Grundlage der Meinungen, die in der Gesellschaft darüber vorherrschen, was von Schülern zu erlernen ist. Dies ist um so relevanter, wenn es sich bei den betroffenen Kenntnissen um Wissen aus dem Bereich der Geisteswissenschaften handelt, da dies als grundlegend für die kulturelle Identität der Gemeinschaft angesehen werden. Ebenso zu berücksichtigen ist die Haltung der Lehrer im Hinblick auf die zu vermittelnden Inhalte sowie der Stand und die Grenzen ihres eigenen Wissens (Rodríguez Gonzalo 2000: 64).
Es ist daher erforderlich, die Funktion der Schulgrammatiken als Werkzeug und Vermittler des Wissenstransfers und als Zeugnis der didaktischen Umsetzung zu bestimmen. Beispielsweise ist zu analysieren, mit welchen methodologischen Herangehensweisen der Transfer des zu vermittelnden grammatikalischen Wissens ermöglicht oder sichergestellt werden sollte. Mithilfe der Analyse der wichtigsten Charakteristika – beispielsweise der zu Grunde gelegten Grammatikmodelle, der Konzepte und der Terminologie – ist zu überprüfen, an welchen Quellen sich die Autoren orientierten; wichtige Anhaltspunkte dafür sind beispielsweise die Beispiele oder die außersprachlichen Referenten, auf die die Autoren zurückgreifen oder verweisen, um ihre Ansichten und Herangehensweisen umzusetzen.
In unserer Sektion sollen die Schulgrammatiken des Spanischen – die aufgrund des gemeinsamen Ziels und des gemeinsamen Rahmens in idealer Weise als serielle Texte angesehen werden können (Brumme 2001, 101, s. Haßler 2002) – in synchroner und diachroner sowie historiographischer Herangehensweise und aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht werden. Wir erhoffen uns Beiträge:
- die sich mit der Darstellung der Sprache sowie dem Gebrauch und der Entwicklung von Begriffen und Termini in den spanischen und hispanoamerikanischen Schulgrammatiken und Traktaten zur logischen und grammatikalischen Analyse beschäftigen;
- zu den in Schulgrammatiken und Traktaten des Spanischen vertretenden Sichtweisen auf grundlegende Begriffe der Morphologie und Syntax;
- welche die konstatierbaren Konzepte, Termini und Modelle mit der Darstellung und dem Gebrauch in anderen Arbeiten derselben Textserie vergleichen und sie bezüglich der didaktischen Umsetzung der Inhalte mit den möglichen Referenztexten in Beziehung setzen;
- die sich mit der Adaption und Transmission neuer Tendenzen der Grammatikschreibung und dem Andauern früherer Strömungen und Positionen der Darstellung der Sprache auseinandersetzen;
- über die Entwicklung der Darstellung grammatikalischer Modelle im Laufe der Geschichte der spanischen Grammatikographie im Hinblick auf die Veränderungen der dominierenden Strömungen in Sprachwissenschaft und Didaktik;
- zur Kontinuität von Positionen in den spanischen und hispanoamerikanischen Grammatiken des Spanischen und in den Traktaten zur logischen und grammatikalischen Analyse ebenso wie zur Erneuerung und Innovation in der theoretischen Darstellung sprachlicher Unterschiede sowie der Herausbildung von Kanonunterschieden aufgrund unterschiedlicher ideologischer Hintergründe.