Jörg Trempler, seit 2015 Inhaber des Lehrstuhls für Kunstgeschichte und Bildwissenschaft an der Universität Passau, verschied in einem Moment, in dem er im Begriff war, die Früchte seines langjährigen Bemühens um eine für alle Disziplinen ergiebige Kunstgeschichte als Bildwissenschaft zu ernten, und die Zuversicht, dass nichts vergeblich war, erfüllte ihn bis zuletzt. Noch im Mai 2024 traf ich im Rahmen einer Passauer Ringvorlesung auf einen bereits von der Krankheit gezeichneten Kollegen und Freund. Dennoch leitete er die Veranstaltung mitsamt der Diskussion mit einer Präsenz, die seine gesundheitliche Einschränkung unsichtbar werden ließ. Diese Energie verließ ihn nicht. Wenn es im Sinne von Seneca darum geht, das Sterben zu lernen, so war er das Beispiel dafür, das Ende nicht zu verdrängen, sondern dem Leben bis zum letzten Moment die Würde zu geben. Diese Haltung wird allen, die Jörg Trempler in dieser Phase begegnet sind, unvergesslich bleiben.
Nach vielen vorherigen Begegnungen habe ich ihn in besonderer Weise durch seine Mitarbeit in der DFG-Kolleg-Forschergruppe Bildakt und Verkörperung am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Berliner Humboldt-Universität als einen ungeheuer wissbegierigen, immmer treibenden, sowohl kunsthistorisch wie philosophisch eigene Wege gehenden Menschen schätzen gelernt. Er arbeitete in diesem Rahmen an einer Anthropologie der Bilder, und in dieser Zeit haben wir für das französische Lexikon Dictionnaire mondial des images einen gemeinsamen Artikel über images et art verfasst. Seine seither in Arbeit befindliche Geschichte des Bildes wird er nun nicht mehr abschließen können. Sie hätte weniger eine Entwicklungsgeschichte als vielmehr eine Folge von Einschnitten und Sprüngen, Wende- und Ausnahmesituationen umfasst. Aber die Spuren sind in seiner Arbeit Katastrophen. Bild und Bedeutung (2013) zu finden, mit der er am Institut der Humboldt-Universität habilitiert wurde. Er war mir eine Freude, dass er mich dort 2014/15 als Professor vertreten konnte.
Mit Passau war er seit seiner Studienzeit, die er dort 1990 begann, verbunden, und hier hat er auch seine ersten kuratorischen Erfahrungen im Rahmen einer freien Mitarbeit am Museum Moderner Kunst gesammelt. Er ist dem Museum und dem Ausstellungswesen im weitesten Sinn verbunden geblieben, was sich neben zahlreichen anderen Aktivitäten durch die Mitarbeit an den großen Ausstellungen Karl Friedrich Schinkel. Geschichte und Poesie 2012 und 2013 in Berlin und München sowie an der Ausstellung der Hamburger Kunsthalle Entfesselte Natur. Das Bild der Katastrophe um 1600 niederschlug. Auch zu dem Plan einer Ausstellung über Passau um 1500 hat er einen maßgeblichen Anstoß gegeben, und die für 2026 gemeinsam mit Katrin Dyballa und Kilian Heck geplante Ausstellung zum Thema Nebel wird die erste sein, die sich diesem Phänomen der Atmosphäre widmen soll.
Seine Forschungsaufenthalte und Vertretungsprofessuren haben ihn über Berlin hinaus nach Florenz, Greifswald, Jena, München, New York, Washington State, Yale und immer wieder an den Ort seines Studienbeginns, Passau, geführt.
Ein Lebensthema hat Jörg Trempler mit seiner Dissertation über Karl Friedrich Schinkels Wandbilder für die Vorhalle des Alten Museums in Berlin gefunden (2001). Diese von Karl Möseneder an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg inspirierte Arbeit gehört mit ihren profunden Erschließungen des mythologischen Bildwissens nach 1800 zu den maßgeblichen Leistungen zu Kunst und Kultur des 19. Jahrhunderts und dessen Ausbildung einer veritablen Kunstreligion. In seinem folgenden Buch Schinkels Motive (2007) hat Trempler diesem weitgehend als Architekt bekannten Künstler nicht nur dessen Malerei zur Seite gestellt, sondern beide Bereiche als miteinander verbundene Produkte eines in Bildern und damit in Kategorien des Körpers denkenden Gestalters definiert. Frucht dieser Erkenntnis war seine bleibende Biographie Schinkels (2012), die ihn zwar als "Baumeister Preußens" titulierte, durchweg aber auf das Ineinander der Gattungen abhob und damit erneut das bildnerische Denken betonte. Hierin lag, was Jörg Trempler mit diesem Künstler zutiefst verband.
Unter den ständig wiederkehrenden Themen waren auch die Formationen der Atmosphäre. Im Zentrum von Tremplers Wolken- und Nebelforschung stand der im Jahr des Ausbruchs der französischen Revolution gestorbene Joseph Vernet, der mit seinen großformatigen Gemälden von Meeresstürmen auf das Erhabene der Natur abzielte und mit seinen Schiffbrüchen den Nerv von Jörg Tremplers Analyse von Ausnahmesituationen traf. Tremplers Beobachtung, dass sich Katastrophen erst dann in das Kollektivbewusstsein heben, wenn sie durch ihre Visualisierung objektiviert waren, gehörte zu seinem methodischen Credo. Zwischen den Ansprüchen der Bilder und dem aufschließenden Vermögen der Betrachter erkannte er ein Wechselspiel, das den Zwischenraum als Brennpunkt der Bildbetrachtung auswies.
Ich hatte das Glück, gemeinsam mit Jörg Trempler und seinem Philosophenfreund Joerg Fingerhut, ebenfalls ein Mitglied der Gruppe Bildakt und Verkörperung, wenige Wochen vor seinem Tod die Berliner Caspar David Friedrich Ausstellung zu besuchen und vor den dort präsentierten Gemälden und Zeichnungen auf die Suche nach jenem Nebelmotiv zu gehen, in dem sich die Orientierung von oben und unten, vorn und hinten verliert, um allein mehr die Bildfassung dieser Verlorenheit gelten zu lassen. Der Konsequenz, dass hieraus das Schweigen entsteht, hat ein weiterer enger Freund Jörg Tremplers, der Göttinger Jurist Florian Meinel, mit ihm in einem eindringlichen Gespräch erörtert, das in Heft XIX der Zeitschrift für Ideengeschichte erscheinen soll. In ihm werden die Grundzüge seiner Kunstbetrachtung wie auch seiner Erkenntnistheorie deutlich. Noch in der Schriftfassung dieses Austausches klingt der Duktus seiner Sprache an, sein hintergründiger Humor, seine Verschmitztheit und seine überraschenden Wendungen aus ausgefahrenen Argumentationsbahnen. Dies macht das Gespräch über den Nebel und das Schweigen zu einem Vermächtnis.
Horst Bredekamp.