Forschungsprofil des Lehrstuhls
Aus den Heisenberg- und Interreg-Projekten und meinem bisherigem Forschungsprofil (u.a. auch zu deutsch-polnischen Stereotypen in der Vormoderne ergeben sich vier große Forschungsbereiche für den verstetigten Lehrstuhl, die jeder für sich genommen das Potential haben, (a) nationale und europäische Unterprojekte zu etablieren, (b) offen für größere Verbundprojekte sowie Kooperationen auf universitärer/nationaler/internationaler Ebene zu sein. In allen Forschungsbereichen möchte ich Abschluss- und Qualifikationsarbeiten fördern und Drittmittel aktiv (auch für Doktoranden/innen und Mitarbeiter/innen) einwerben.
Die (ost-)europäische Dimension und die zu erreichende Vergleichbarkeit in diesen Bereichen – gerade im Hinblick auf das Profil der Professur – ist mir sehr wichtig.
Es sei etwas zu jedem Forschungsbereich ausgeführt:
Hoch- und spätmittelalterliche Geschichtsschreiber stellten die fürstlichen Akteure ihrer Werke mit einer bestimmten Intention dar. Welche normativ-typischen und welche abweichend-individuellen Charakterzüge lassen sich hier erkennen? Darf man ab dem Hochmittelalter bereits von pränationalen Schreibtraditionen (Rezeption bestimmter Modelle) sprechen? Können hier entsprechende Kontinuitäten in den Folgeepochen erkannt werden? – Mithilfe narratologischer und soziologischer Analysewerkzeuge möchte ich diese Phänomene weiter untersuchen. Aufgrund meiner Habilitationsarbeit spreche ich von ‚praktischen Herrschaftstätigkeiten‘, die sich durch bestimmte Kategorienbildung gut unterteilen lassen (Fürst als Richter, Verwalter, Politiker/Diplomat, Gesetzgeber, Repräsentant, Krieger/Heerführer, frommer-religiöser Mensch und sein Habitus). Wie werden diese Kategorien in deskriptiven Quellen ausgefüllt und gegeneinander gewichtet? Weitere Parameter zu akteursbasierten Netzwerken (z.B. der ‚Fürst und seine Ratgeber‘ oder der ‚Fürst und kirchliche Würdenträger‘ usw.) sind ebenfalls einzubeziehen. Ich selbst werde mich zunächst während des Heisenberg-Programms auf Aspekt des spätmittelalterlichen Fürsten im fromm-religiösen Kontext konzentrieren: Fromme Herrschaftshandlungen, das Zeigen von Gottesfurcht und Demut zeichneten den christlichen Fürsten aus, derartige Inszenierungen wurden in religiös aufgeladenen Zeremonien (z.B. Krönungen, Hochfeste, Hochzeiten) publikumswirksam evoziert. Die bisherige Forschung ist sich bezüglich der Bedeutung einer gelebten fürstlichen Religiosität für die herrschaftliche Legitimation (z.B. Angenendt 1997 und 2004) einig. Im Gegensatz dazu fällt der Befund in spätmittelalterlichen, historiographischen Werken aus: Der Fürst wird in Chroniken zwar des Öfteren (besonders in den Prologen) stereotyp mit Attributen wie christianissimus oder frum (fromm)versehen, aber diese attributiven Zuschreibungen werden kaum mit konkretem Inhalt gefüllt. Diese Diskrepanz soll anhand von Chroniken aus dem Raum des spätmittelalterlichen Heiligen Römischen Reiches eingehend untersucht werden. Der Bezugsraum kann später auf die ostmitteleuropäischen Kulturen ausgeweitet werden.
Unter dem Niederadel im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit versteht man alle Adelsgeschlechter einer Region, die nicht dem Hochadel entstammten – also die lokalen adeligen Eliten, welche erheblichen gesellschaftlichen Einfluss besaßen (Dieter Rübsamen sprach von ‚kleinen Herrschaftsträgern‘). Diese Gruppe umfasst für den nordalpinen-deutschen Raum im 15. Jahrhundert ca. 150.000–180.000 Personen (1-1,5 % der Gesamtbevölkerung), war quantitativ also wesentlich größer als der Hochadel, man rechnet mit einem Verhältnis von 1:25. Die niederadligen Lebenswelten sind als vergleichendes europäisches Phänomen immer noch völlig unterforscht. Zwar sind in den letzten beiden Jahrzehnten gute regionale Einzelstudien in Deutschland erschienen, aber oftmals ist eine Vergleichbarkeit schwer vorzunehmen, da die Studien sehr kleinteilig unterschiedliche Parameter untersuchen. Hier soll in Richtung der Studien von Joachim Schneider (dieser hat v.a. zu Bayern, Franken, Sachsen gearbeitet) an einer besseren Vergleichbarkeit gearbeitet werden, die es der Forschung ermöglicht, überregionale Strukturen und regionale Eigenheiten besser voneinander differenzieren zu können. Dieses kann erreicht werden, indem man sich exemplarisch einzelne spätmittelalterlich-frühneuzeitliche regionale Adelsfamilien vornimmt und diese nach bestimmten Kriterien (z.B. zur ständischen Organisation und Einbindung in den fürstlichen Hof, zum Heiratsverhalten, zum Güterbesitz, zum Rangbewusstsein – auch im Rahmen von Kultur- und Kunstförderung, zum Migrationsverhalten in andere Regionen etc.) analysiert. Sowohl in dem Heisenberg-Projekt als auch in dem EU-Interreg-Projekten wird dieser Themenkomplex zentral stehen und soll später auf weitere Räume (z.B. Preußen und Polen) ausgeweitet werden.
Gegenseitige Wahrnehmung und stereotypes Denken über den ‚Anderen‘ sind anthropologische Konstanten, die sich besonders auf Ebene von ethnischen Zuschreibungen laufend (auch in der Moderne) wiederholen. Die Dichotomie von Eigen-Fremd spielt dabei eine große Rolle – mit der Faustregel: Je ‚näher‘ man dem ‚Anderen‘ räumlich ist, desto differenzierter und emphatischer fällt der Blick auf ihn aus. Dieser Bereich möchte sich dem Forschungsgegenstand durch Sammeln und Auswertung von einschlägigen hoch- und spätmittelalterlichen Quellengruppen (Briefe, Ego-Zeugnisse, Epen, Geschichtsschreibung) näheren – hierbei verweise ich auf eigene (z.B. Einleitung zum Sammelband: Germans and Poles in the Middle Ages, 2021) und fremde Arbeiten (z.B. Jean-Marie Moeglin, Georg Jostkleigrewe, Volker Scior, Anna Aurast, Martin Nodl). Die Sicht der ‚Deutschen‘ auf ihre Nachbarn und vice versa von den Nachbarn auf die ‚Deutschen‘ soll im Mittelpunkt stehen. Analytisch ist auf universelle und spezifische Fremdzuschreibung, narratologisch auf die Rezeption von bestimmten Modellen der Fremdzuschreibung zu achten.
Der Deutsche Orden erobert im Laufe des 13. Jahrhunderts sämtliche Gebiete, die später das Ordensland Preußen bilden (also teils Polen/teils Oblast Kaliningrad). Zeitgleich etablierte er sich im Großraum Livland (also auf dem Gebiet der heutigen baltischen Staaten) neben dem Erzbischof von Riga als entscheidende herrschaftliche Kraft. Hier wurden zahlreiche Städte und Dörfer gegründet oder ausgebaut (wie z.B. Danzig, Königsberg, Riga, Tallinn), wobei die Städte heutzutage oftmals große Zentren in ihrer jeweiligen Region bilden. Die Ordenskorporation etablierte sich u.a. dank ihrer sehr effizienten, schriftbasierten Verwaltung schnell und blieb bis ins 16. Jahrhundert – die vom Orden dort angesiedelte deutschsprachige Bevölkerung verblieb sogar bis ins 20. Jahrhundert. Die diesbezüglichen Quellen für die vormodernen Epochen liegen v.a. im Geheimen Staatsarchiv in Berlin (die Bestände kenne ich sehr gut) und in den jeweiligen Staatsarchiven in Polen und den baltischen Staaten. Die internationalen, wissenschaftlichen Netzwerke zur vormodernen Forschung über den Deutschen Orden funktionieren sehr gut und bilden über das gemeinsame Forschungsthema einen unprätentiösen, gemeinsamen Zugang zum nördlichen Ostmitteleuropa.