Sektion 5
Kathrin Sartingen (Wien)
Esther Gimeno Ugalde (Wien)
Pietsie Feenstra (Paris)
Kino aus weiblicher (Hand)schrift: Zur Darstellung und Repräsentation von Realität bei spanischen und lateinamerikanischen Regisseurinnen
Die 90er Jahre brachten innerhalb der spanischen Kinematographie eine entscheidende Wendung mit sich: so lässt sich ein deutlicher Anstieg an Frauen verzeichnen, die hinter der Kamera standen und deren künstlerisches Werk häufig dem Autorenkino zuzurechnen ist. Dieses Phänomen half ein wenig mit, die sehr geringe Präsenz an Regisseurinnen in den vorangegangenen Jahrzehnten ausgleichen: Bis zum Jahre 1988 scheint es insgesamt nur 10 Regisseurinnen gegeben zu haben (cf. Camí-Vela 2005: 17). In den 80er Jahren arbeiteten in Spanien lediglich einige Pionierinnen wie Josefina Molina, Cecilia Bartolomé und Pilar Miró, die in ihren Filmen die historische Realität in ihrem tiefgreifenden Wandel widerspiegelten, und auch der Frau eine aktive und zentrale Rolle zuerkannten.
Im Gegensatz dazu wies Lateinamerika bereits in den 80ern eine beträchtliche Zahl an Filmemacherinnen auf, von denen einige bis heute sehr aktiv sind. In Mexiko finden sich zahlreiche der angesehensten lateinamerikanischen Regisseurinnen (z.B. María Elena Velasco, Busi Cortés, Dana Rotberg, Marisa Sistach, María Novaro); neben Venezuela (Elia K. Schneider, Fina Torres, Solveig Hoogensteijn), Chile (Valeria Sarmiento), Peru (Mariane Eyde), Costa Rica (Patricia Howell Aguilar). Zweifellos ist es jedoch die Argentinierin María Luisa Bemberg (1922-1995), die international am meisten hervorstach und Bemberg zu einer emblematischen Figur des gesamten weiblichen Kinos Lateinamerikas machte (cf. King/Withaker/Bosch 2000).
Der Aufschwung des Regisseurinnen-Films in den 90er Jahren sowohl in Spanien als auch in Lateinamerika setzt sich auch im neuen Jahrtausend zunehmend fort. Dabei lässt sich feststellen, dass es der weiblichen Regie zwar gelungen ist, bestimmte Themen, Subjekte und Räume, die zuvor nur bedingt oder marginal gezeigt wurden (cf. Kuhn 1991), sichtbar zu machen; allerdings steht eine präzise synchrone und diachrone Analyse der Veränderungen in den letzten Jahrzehnten noch aus. Um das gesamte Panorama der spanischen und lateinamerikanischen Regisseurinnen zu überschauen, ist eine Detailstudie der Filmographien der jeweiligen Regisseurinnen unerlässlich. Erst dadurch wird ein ein tiefgehenderer Vergleich der verschiedenen „weiblichen Blicke“ ermöglicht.
Das rezente Forschungsprojekt der Universidad Complutense de Madrid – eine statistische Analyse über Frauenfiguren als Protagonistinnen in spanischen Spielfilmen, sowohl von männlichen als auch von weiblichen Regisseuren (cf. Arranz) – hat gezeigt, dass Frauen die Realität auf andere Weise filmen, und damit die Existenz eines gewissen „weiblichen Blicks“ angedeutet (cf. Heredero 1998). Ausgehend von dieser Hypothese ist das Ziel unserer Sektion, die jeweiligen Darstellungen, die die Regisseurinnen von der Realität konstruieren, zu beleuchten: Wie filmen sie die verschiedenen sozialen Realitäten und wie werden diese auf narrativer und ästhetischer Ebene in der filmischen Diegesis dargestellt?
Ausgangspunkt dieser Sektion ist es zu analysieren, wie die Darstellung der Welt aus einem weiblichen Blickwinkel heraus konstruiert ist. Es soll den Fragestellungen nachgegangen werden, welche thematischen und ästhetischen Wege gewählt wurden, wie die mise-en-scène aussieht, welche Subjekte dominieren, welche Rolle diese übernehmen, und aus welcher Perspektive die Filme erzählt werden. Auch die Frage nach spezifischen Gattungsdiskursen sowie nach bestimmten kulturellen Markern ist zentral, immer sowohl in den Spiel- als auch in den Dokumentarfilmen.
Ausgehend von der zentralen Fragestellung nach den Formen der Inszenierung von Realität in den Filmen von Regisseurinnen, können folgende Aspekte Gegenstand der vorliegenden Sektion sein:
- Welche Realitäts-Bilder konstruieren die spanischen Filmemacherinnen ab den 90er Jahren und welche kinematographischen Strategien verwenden sie zu deren Inszenierung?
- Wer übernimmt die “narrative agency”? Aus wessen Perspektive wird erzählt und welche Realität wird abgebildet?
- Was für eine Rolle spielt die filmische Gattung (Spielfilm vs. Dokumentarfilm)? Hier würden Fragen nach der Rollenverteilung der femininen Figuren ebenso interessieren wie die Behandlung spezifischer „Frauenthemen“ (Mutterschaft, Dekonstruktion patriarchaler Strukturen, Selbstsuche) und deren Inszenierungsmöglichkeiten (Off-Stimme, Subjektive Einstellungen, Großaufnahmen, etc.). Welche Figurentypen werden geschaffen und wie reflektieren bzw. zerstören diese neuen Typen die archetypischen Stereotype der Frau als Mutter, Prostituierte, Ehebrecherin, Hausfrau, Putzfrau, etc.
- Die Frage nach der filmischen Gattung scheint vorrangig im Kino weiblicher Autorenschaft: Übt möglicherweise der differente kulturelle Kontext (Spanien/Lateinamerika) einen Einfluß auf die jeweilige Wahl der Gattung aus? Schließlich gilt es zu untersuchen, ob diese Entscheidung letztlich dazu beiträgt, den „weiblichen Blick“/ die „weibliche Filmhandschrift“ zu prädisponieren?