Sektion 9
Adriana López Labourdette (St.Gallen/Genf)
Claudia Gronemann (Mannheim)
Cornelia Sieber (Leipzig)
Außer/gewöhnliche Körper als Schnittstelle von materiellen und symbolischen Kräften
In den letzten Jahrzehnten hat der Körper als Schnittstelle von materiellen und symbolischen Kräften einen privilegierten Platz in zahlreichen literatur-, medien- und kulturwissenschaftlichen Studien eingenommen. Damit scheint das umstrittene Verständnis des Körpers als das Andere in der cartesianischen Dichotomie von Körper und Intellekt endgültig überwunden und der Körper wird zur Einschreibfläche für vielfältige Rassen-, Gattungs-, Generationen-, Geschlechter- und Klassencodes. Basierend auf der Idee eines kulturellen und politisierten Gebrauchs von Körper zielt die Sektion auf eine Untersuchung von Repräsentationen und Konstruktionen des außer/gewöhnlichen Körpers in der iberischen und lateinamerikanischen Literatur und Kultur im Zusammenhang mit Konzepten von Identität und Andersartigkeit. Unter außer/gewöhnlichen Körpern verstehen wir Körper, die Ordnung oder Unordnung simulieren, d.h. das „Normale“ konstituieren oder stören, und zwar bezogen auf die körperliche Erscheinung, grundsätzlich in visueller, aber auch auditiver oder sensorischer Form – beispielsweise durch die Inkarnation von Idealen und Normen, durch Vereinheitlichung oder umgekehrt durch Verkörperung des Mangels, durch Exzess oder aufgrund von Disproportionalität.
Es geht folglich darum, den andersartigen Körper und die Strategien zu untersuchen, mit denen jede Kultur ihre Norm und die sie bestärkenden Abweichungen, hervorbringt. Bei der Annäherung an die außer/gewöhnlichen Körper im konkreten hispanistischen Rahmen untersuchen wir die verschiedenen Modelle und ihre zahlreichen Abweichungen – Ungetüme, Cyborgs, Krüppel, Verschwundene, versehrte oder deformierte Körper, die verschiedene Konzepte von Andersheit sowie Elemente differierender Identitätsmodelle verkörpern und die Geschichte der iberischen Halbinsel ebenso wie die des amerikanischen Kontinents durchziehen. In diesem Kontext ist auch daran zu erinnern, dass die ersten Begegnungen der Kulturen beider Kontinente durch abweichende Vorstellungen von der Bedeutung der körperlichen Erscheinungsweisen zwischen den „Entdeckern“ und „Entdeckten“ geprägt waren. So werden wir die nomadischen Spuren zwischen dem Vertrauten und dem Fremden, zwischen dem Ich ,und seinem Anderen, zwischen dem Inneren und dem Äußeren erkunden und dabei die diskursiven, performativen und repräsentativen Strategien offen legen, mit denen bestimmte Vorstellungen von Identität und Normalität konstituiert bzw. abgelehnt werden. Gleichzeitig wollen wir die Tatsache, dass der Ursprung jedes außer/gewöhnlichen Körpers in einer Transgression wurzelt, berücksichtigen und spezielles Augenmerk auf die Geschichte jener Transgression legen sowie auf andere Erzählformen (der Gnade, Exhibition, Exotisierung, Zerstörung und sogar der Korrektur), die sie traditionell begleiten.
Die spezifischen Beziehungen Spaniens und Lateinamerikas zum Anderen und die sozialen und politischen Projekte bewirken vielfältige und andauernde Konstruktionen von außer/- ordentlichen Körpern und eine morphologische Varietät hervor, die wir vergleichen und zur Debatte stellen wollen. Daher möchten wir epochenübergreifend über alle Inkarnationen und hybride Körper reflektieren, die sich in kanonischen Werken, im Feuilleton, im gedruckten Text, im Kino, in Gegenwart oder Vergangenheit finden.