Sektion 3
Beatrice Schuchardt (Siegen)
Urs Urban (Straßburg)
Handel, Handlung, Verhandlung. Theater und Ökonomie in Spanien von der frühen Neuzeit bis zum Beginn der Moderne (16.-18. Jahrhundert)
Die Rede von der „Ökonomisierung der Gesellschaft“ (Bröckling et al. 2000) ist aus dem Feuilleton heute genauso wenig wegzudenken wie aus den Geisteswissenschaften. Sie beschreibt die radícale Beschleunigung (Hartmut Rosa), mit der heute im Weltinnenraum des Kapitals (Sloterdijk) die Logik des Ökonomischen von allen Lebensbereichen Besitz ergreift; zugleich suggeriert sie jedoch, das ‚Gesellschaftliche‘ sei vor der Moderne vom Ökonomischen irgendwie unberührt geblieben. Dabei ist das Auftreten des bürgerlichen Subjekts bereits in seinen Anfängen in konstitutiver Weise von der Emergenz des ökonomischen Dispositivs betroffen. Die Geschichte dieses Zusammenhangs reicht zurück bis zum Theater der Neuzeit. Hier nämlich tritt zum ersten Mal jene persona auf, in der Präsenz und Repräsentativität miteinander verschränkt sind, und hier wird die Ökonomie als ein Spiel von Gabe und Wiedergabe inszeniert bzw. durch Hingabe und Aufgabe transzendiert. Das spanische Theater erlebt seine erste Blüte zur gleichen Zeit, in der Spanien Weltmacht wird und die Frühphase der Globalisierung einleitet. Dieser Gleichzeitigkeit von politischer und kultureller Machtentfaltung tragen Kultur- und Literaturgeschichtsschreibung Rechnung, indem sie das Theater als Reflexionsmedium der Macht beschreiben – ohne dabei jedoch den genuin ökonomischen Charakter dieser Macht, die die Macht eines expandierenden Marktes, die also Marktmacht ist, ausreichend zu berücksichtigen. Diesen Interdependenzen wollen wir nachspüren, indem wir danach fragen, wie die Wirtschaft der Gesellschaft (Luhmann) sich zum spanischen Theater von Barock und Neoklassizismus jeweils unterschiedlich in Beziehung setzen lässt; und wie das Theater im allmählichen Wandel von der feudales hin zur bürgerlichen Gesellschaft seinerseits in verschiedener Art und Weise auf die Marktmacht reagiert – indem es diese zum Beispiel affirmativ wiederholt oder kritisch in Frage stellt.
Der historische Rahmen der Sektion umfasst den Zeitraum vom Beginn des 16. bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert. Insbesondere der Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert markiert dabei als eine Epochenschwelle (Blumenberg) ebenso das Nebeneinander wie die Kollision zweier konträrer Ästhetiken: der barocken Tradition des Überschwangs und der normativen Strenge des Neoklassizismus. Bei dieser Begegnung stoßen auch zwei unterschiedliche Repräsentationsökonomien aufeinander: die kommerzielle Ausrichtung und formale Offenheit des barocken Unterhaltungsmediums der comedias kollidiert mit dem didaktischen Anspruch der von der Monarchie geförderten Normativität neoklassizistischer Stücke.
Die im Rahmen unserer Sektion erarbeiteten Perspektiven sollen einen spezifisch hispanistischen Beitrag zur Literatur- und Mediengeschichte des ökonomischen Menschen im Kontext des Theaters leisten. Der theoretische Spielraum lässt sich hierbei anhand folgender Eckdaten abstecken:
1. Ökonomie als Thema: Die theatralische Inszenierung ökonomischen Handelns im historischen Wandel – im Spiegel der Gattungen. – Das ökonomische und das mediale Dispositiv: Ökonomische Aspekte der Aufführungssituation. – Das Publikum als ökonomischer Akteur. – Zensur und Selbstzensur als ökonomische Strategie. – Ökonomie als Strukturprinzip theatralischen Handelns: Tauschen und Täuschen.
2. Ökonomie als Struktur: Ökonomie der Sprache. – Die Wirtschaft der Gesellschaft und das Theater als Raum der Verausgabung: bewusste/unbewusste Verstöße gegen diese Ökonomien (z.B. gegen bestimmte Ökonomien der Sprache / des Stils / der Norm). Tausch: Gabe und Wiedergabe, Präsent und Repräsentation. – Ökonomie und Macht.