Gegenstandsbereich(e)
1. Das semiotische Paradigma als Grundlage der Passauer Literatur- und Medienwissenschaft
Das besondere Alleinstellungsmerkmal der Passauer Literatur- und Medienwissenschaft ist ihre semiotische, d. h. zeichentheoretische Ausrichtung. Alle Kommunikation vollzieht sich mittels kulturell produzierter sprachlicher und schriftlicher oder anderer audiovisueller, musikalischer, ikonischer usw. Zeichen, die in historisch und kulturell variablen Zeichensystemen organisiert sind (bspw. die natürlichen Sprachen, kinematographische Kodes usw.). Die Semiotik als allgemeine Wissenschaft von der Kommunikation mittels Zeichen überhaupt liefert damit erstens medienübergreifende Grundlagen für die Analyse von konkret fassbaren Textbedeutungen in Literatur, Film, Oper, Werbung, Computerspiel, Comic Strip und neuen Medien. Gleichzeitig ermöglicht der semiotische Ansatz darüber hinaus zweitens am konkreten Medienprodukt medien- und textsortenspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen und die medienspezifische Gemachtheit kultureller Kommunikation zu untersuchen.
Auf der Basis des gemeinsamen semiotischen Paradigmas befähigt die Passauer Literatur- und Medienwissenschaft ihre Studierenden damit erstens zu einer medien- und textsortenspezifischen Literatur- und Medienwissenschaft, die zentrale Kompetenzen bei der Analyse konkreter Textsemantiken in Literatur, Film, Fernsehen, Musikvideos, Opern, Werbung, Computerspielen und neuen Medien vermittelt. Zweitens erlaubt der Passauer medien- und literatursemiotische Ansatz medienübergreifend kultursemiotische Verknüpfungen. Das heißt Medien und ihre sie formierenden Texte werden als zusammenhängende Semiosphäre, als durch Medien und ihre Texte kommunikativ gebildeter kultureller Raum analysiert, in dem Texte unterschiedlichster medialer Provenienz auf ganz eigene Weise kulturelles Wissen und Denken, kulturspezifische Probleme und Lösungsvorschläge, historische Konzeptionen von Welt und Wirklichkeit, variable Vorstellungen vom Menschen im Allgemeinen und der Person im Besonderen, von epochentypischen Haltungen, Einstellungen und Mentalitäten modellieren und überhaupt verhandelbar machen.
2. Literatur und Medien als sekundär Modell bildende Zeichensysteme der Kultur
Gerade in den Medien erbringen Gesellschaften immer wieder im historischen Wandel einen genuinen Beitrag zu ihrem eigenen Selbstverständnis. Es sind die Medien und damit die sie formierenden Texte, die kulturelle Komplexität sinnhaft reduzieren und zu historisch typischen Modellen von Welt verdichten und in sich epochentypisch abbilden können.
Ein Gedicht, ein Drama, ein Roman, aber auch ein Film, ein Musikvideo, eine Fernsehshow, eine Oper oder ein Computerspiel bedienen sich je nach den an ihnen beteiligten Informationskanälen verschiedener primärer sprachlicher, schriftlicher, visueller oder auditiver Zeichensysteme. Diese primären Zeichensysteme sind dabei deshalb primäre Modell bildende Zeichensysteme, weil sie ihrerseits schon an sich erste Modellbildungen von Realität vornehmen. Beispielsweise muss in der Sprache ein Begriff für etwas überhaupt vorhanden sein, damit man darüber reden kann; etwas das abgebildet wird, muss auf der Grundlage von Wahrnehmungssemantiken überhaupt als eine in sich wohl strukturierte Größe in Sprache und damit in eine kulturelle Begrifflichkeit übersetzt werden können, damit es erkannt und verarbeitet werden kann. Die künstlerischen und medialen Texte bedienen sich nun nicht einfach nur der primären Zeichensysteme und ihrer primären Bedeutungen. Vielmehr produziert jeder mediale Text, der sich primärer Zeichensysteme bedient, selber mit diesen primären Zeichensystemen neue sekundäre Zeichen, nämlich die spezifischen und konkreten Weltvorstellungen, die der Text selbst individuell entwirft. Mittels der historisch zwar wandelbaren, epochal aber relativ stabilen primären Zeichensysteme entwerfen die Medien eine Fülle denkbarer sekundärer Modell bildender Weltentwürfe. Solche sekundären Modell bildenden Weltentwürfe können dabei mehr oder wenige authentifiziert sein (wie dokumentarische Formen) oder als fiktional (wie die Künste) markiert sein; sie können sowohl der Hoch- als auch der Populärkultur angehören und sie können theologische, biologische, ökonomische, soziale oder anthropologische Werte- und Normensysteme, mithin also Ideologien vermitteln.
Als sekundäre Modell bildende Zeichensysteme sind Weltentwürfe in der Literatur und den anderen Medien Formen kultureller Selbstreproduktion, in denen sich eine Kultur über sich selbst verständigt und kulturelle relevante Werte und Normen einüben, bestätigen oder verwerfen kann. In welchem Umfang welches kulturelle Wissen in welchem Medium im deutschen Kulturraum seit der Frühen Neuzeit verarbeitet wird, liefert die zentralen Gegenstandsbereiche und Fragestellungen der Passauer Literatur-, Medien- und Kultursemiotik.
3. Gegenstandsbereiche und Methodik der Passauer Literatur-, Medien- und Kultursemiotik
Die Passauer Literatur-, Medien- und Kultursemiotik geht zunächst immer von konkreten literarischen und audiovisuellen Texten in unterschiedlichen Medien aus, um systematisch die ästhetisch tatsächlich konstruierten Bedeutungen zu untersuchen und diese in einen übergreifenden kulturellen, denkgeschichtlichen und medialen historischen Zusammenhang einzubetten.
Aufgrund ihrer semiotischen Orientierung hat die Passauer Literatur- und Medienwissenschaft einen grundlegenden Schwerpunkt in der Methodik, das heißt bei der theoretisch reflektierten, medienübergreifenden Textanalyse. Besondere Berücksichtigung finden hierbei narratologische, das sind erzähltheoretische, Ansätze sowohl medienübergreifend zur Untersuchung der Raumsemantik in Literatur und Film als auch medien- und gattungsspezifisch die Analyse von Erzählmodellen, Erzählstilen und Darstellungsmodi in der Literatur, in Film und Fernsehen, in der Oper, in der Werbung, im Computerspiel und in den neuen Medien. Damit vermittelt die Passauer Literatur- und Mediensemiotik grundlegende Medienkompetenzen, das bedeutet Fähigkeiten zum grundlegenden Verstehen medialer Äußerungen in literarischen, audiovisuellen und anderen Formen und ihrer kommunikativen Funktionsweise im kulturellen, sozialen und ideologischen Kontext.
Neben der Methodologie einer medienübergreifenden Textanalyse orientiert sich die Passauer Literatur- und Mediensemiotik aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive an historischen Beispielen, die erstens im Falle des deutschen Kulturraumes die deutschsprachige Literatur vom Barock bis zur Gegenwart in ihrer Abhängigkeit zu kultur- und denkgeschichtlichen Kontexten in den Mittelpunkt rückt. Außerdem bezieht sie zweitens im Falle von Film, Fernsehen und neuen Medien für den deutschen und den europäischen Kulturraum relevante Phänomene und Formate der internationalen und deutschen Mediengeschichte in der Hoch- und Populärkultur in das Fach mit ein. Aus einer kultursemiotischen Perspektive stehen dabei Fragen nach dem historischen und spezifischen Zusammenhang von semiotischen Systemen des Bedeutens und den ideologischen Systemen des Bedeuteten im Vordergrund, also auf welche Weise welche Textstrukturen in unterschiedlichen Medien welche kulturell relevanten Bedeutungen verarbeiten. Hier hat sich ein besonderer imagologischer, das heißt an medienübergreifenden Konzepten der Person und des Raums ausgerichteter, und mentalitätsgeschichtlicher Schwerpunkt ausgebildet. Analysiert werden anwendungsorientiert und empirisch am konkreten Medienprodukt nachvollziehbar verschiedene mediale Sprachen und ihre kulturellen Funktionen in Literatur-, Denk- und Diskurssystemen. Auf diese Weise strebt die Passauer Literatur, Medien- und Kultursemiotik in Forschung und Lehre die systematische Rekonstruktion von kulturellen und medialen Teilsystemen und ihrer Funktionsweisen an. Damit möchte die Passauer Literatur-, Medien- und Kultursemiotik auch für die Zukunft ihren Beitrag zu der Frage nach unserem kulturellen Selbstverständnis und seiner historischen Herkunft leisten, wie es sich in den unterschiedlichsten Medien im deutschsprachigen Kulturraum in der Vergangenheit und in der Gegenwart repräsentiert.