Projektdetails
Schlesischer Adel im 20. Jahrhundert: Elite in der Krise
Flucht, Vertreibung und Umbrüche durch zwei Weltkriege: Wie hat das "Zeitalter der Extreme" den Schlesischen Adel verändert? Dieser Frage widmete sich ein deutsch-polnisch-tschechisches Forschungsprojekt, in dessen Rahmen auch ein Dokumentarfilm entstand.
Das 20. Jahrhundert war eine Zeit der dramatischen politischen, sozialen und ökonomischen Umbrüche: Übergang vom Kaiserreich zur Demokratie, zur nachfolgenden NS-Diktatur sowie der Untergang der ehemals deutschen Provinzen im Osten nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Spektrum der Erfahrungen, die die Menschen in dieser Zeit machten, reichte von Flucht und Vertreibung in Folge der Großdiktaturen und der katastrophalen Umbrüche der beiden Weltkriege bis hin zu ungeahntem Wohlstand und demokratische Stabilität während des "Golden Age" oder den "Trente Glorieuses" (Jean Fourastié) nach dem Zweiten Weltkrieg. Es sind diese gegensätzlichen Erfahrungen, die aus der Zeit von 1914 bis 1989 ein "Zeitalter der Extreme" (E. J. Hobsbawm) gemacht haben.
Schlesischer Adel im Zeitalter der Extreme
Das Forschungsprojekt "Adel in Schlesien - Szlachta na Śląsku" widmete sich dem schlesischen Adel als Sozialgruppe, die durch Flucht und Vertreibung mehr noch als der Adel in Westeuropa gezwungen war, ihr Selbstverständnis und ihre Lebensstile neu auszurichten. Zum Beispiel Gotthard Graf von Ballestrem, der in Friedrichswalde, Niederschlesien in „großer Behütetheit“ aufgewachsen war. Die Familie floh im Januar 1945 nach Vogelsberg in Oberhessen, wo sie als Flüchtlinge lebten.
"Selbst damals als wir ohne Schloss und sonstige Attribute von eventuellem Wohlstand oder Reichtum - wie mein Vater sagte: Arm wie die Kirchenmäuse - und ein bescheidenes Leben, mein Vater als Förster wir als Schüler, führten, selbst da stellte sich heraus, dass wir von vielen - wir Kinder von anderen Kindern - als anders angesehen und erlebt wurden."
Die Forschungsgruppe hielt seine Erinnerungen im Video fest. Neben Interviews mit Zeitzeugen nahm das Projekt auch den Raum in den Blick, den der schlesische Adel über die Jahrhunderte prägte, die Orte also, mit denen sich die Erinnerung an den schlesischen Adel in der Zeit nach 1945 verknüpfte: Schlösser und Gutshäuser, Parks, Bibliotheken und Sammlungen. Am Beispiel der materialen Kultur des schlesischen Adels fragten sich die Historikerinnen und Historiker, wie die Erinnerungspolitik in der Volksrepublik Polen den schlesischen Adel und seiner Geschichte national und sozial auflud, vereinnahmte oder dämonisierte. Die Forschungsgruppe verstand sich als Teil der jüngeren Adelsforschung, die ihren Gegenstand als Elitengeschichte im Kontext einer breit verstandenen Gesellschaftsgeschichte untersuchte. Im Mittelpunkt stand eine erinnerungs- und generationengeschichtliche Betrachtung.
Teilprojekt Adel ohne Land - Land ohne Adel
Mit Flucht und Vertreibung im Jahr 1945 klafften Erfahrungsraum und Erwartungshorizont des schlesischen Adels wie wohl zu keinem anderen Zeitpunkt der Moderne und Postmoderne auseinander. Das Teilprojekt untersuchte, wie die sozialen und lebensweltlichen Umbrüche seit 1945 Lebensstile und Selbstverständnis schlesischer Adeliger beeinflussten. Die Historikerinnen und Historiker analysierten außerdem die Erinnerungspolitik in der Volksrepublik Polen. Insbesondere beschäftigten sie sich mit den Orten, die an den schlesischen Adel erinnerten.
Dokumentarfilm "Gloria und Exodus"
Regisseur Andrzej Klamt begleitete im Jahr 2013 das Forschungsprojekt und erstellte einen Dokumentarfilm, der auf das ganze 20. Jahrhundert ausgerichtet ist. Der Film "Gloria und Exodus: Die Geschichte des Schlesischen Adels" basiert auf Interviews mit Zeitzeugen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und archivalischen sowie architektonischen Zeugnissen. Regisseur Klamt hatte bereits den Film "Die Schaffgotsch - Chronik einer vergessenen Adelsfamilie" gedreht.
Forschungsverbund "Adel in Schlesien"
Das Projekt entstand aus der Arbeit des Forschungsverbunds: "Adel in Schlesien - Szlachta na Slasku", der von 2005 bis 2008 die Zeit vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert erforschte. Bei dem Verbund handelte es sich um einen Zusammenschluss von Kulturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler mehrerer Universitäten und wissenschaftlicher Institute (Breslau/Wrocław, Dresden, Oldenburg, Passau, Stuttgart) unter der Leitung des Kunsthistorikers Jan Haraszimowicz (Universität Wrocław) und des Historikers Matthias Weber (Bundesinstitut für Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa, Oldenburg).
Prof. Dr. Thomas Wünsch, Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte Osteuropas und seiner Kulturen an der Universität Passau, beschäftigte sich mit einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit dem schlesischen Adel im 20. Jahrhundert. Es handelt sich um ein wenig erforschtes Gebiet, das allerdings die sozialen und kulturellen Umschichtungen der Moderne in einem deutsch-polnischen Bezugsfeld sichtbar macht. Darüber hinaus leitete er ein Graduiertenkolleg zum Thema "Genealogie und Repräsentation. Formen und Funktionen adeliger Kultur im Schlesien der Neuzeit (14. bis 19. Jahrhundert)". Im Jahr 2009 richtete die Universität Passau eine Konferenz zum Thema aus. Der Titel lautete: "Schlesischer Adel im 20. Jahrhundert. Krisenerfahrung, Elitentransformation und Selbstverständnis im 'Zeitalter der Extreme".
Die Ergebnisse der Forschungen werden als Teil der unter der Ägide von Mathias Weber (BKM) herausgegebenen Reihe "Adel in Schlesien - Szlachta na Śląsku" des Oldenbourg-Verlags der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Projektleitung an der Universität Passau | Prof. Dr. Thomas Wünsch (Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte Osteuropas und seiner Kulturen) |
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Laufzeit | 01.01.2013 - 31.12.2013 |
Website | http://www.uni-passau.de/adel-in-schlesien/ |
Mittelgeber | BKM - Beauftragte/r der Bundesregierung für Kultur und Medien |
Projektnummer | IIA8-2513DK0500 |
Themenfelder | Geschichte, Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte) |
Förderhinweis | Die Förderphasen 2010 - 2013 wurden gefördert vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. |