Wirtschaftstheoretische Perspektiven auf das Neue Testament/Bible and Economic Thought
Während Exegese, Theologie und (Wirtschafts-)Ethik aus den biblischen Texten, insbesondere der Lehre Jesu, Wertung und Kritik am heutigen Wirtschaftssystem ableiten, wird der umgekehrte Weg, Axiome und Schlussfolgerungen ökonomischer Theorien mit dem biblischen Text ins Gespräch zu bringen, selten bis nie beschritten. So erscheint Jesus in der gängigen Auslegung als einer, der sich für eine gerechte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung stark macht, Umverteilung und den Ausgleich zwischen arm und reich fordert und dafür eintritt, dass jeder erhält, was er zum Leben braucht. In den aktuellen Debatten wird er dabei mal zum Verfechter des Mindestlohns oder bedingungslosen Grundeinkommens, mal zum Advokat der Armen gegen Finanzwucher und mal zum Kronzeugen im Kampf für die Regulierung der Märkte.
Doch wie valide sind diese Interpretationen? In der aktuellen Diskussion werden die antiken Evangelientexte zum Ratgeber für die Lösung von Problemen des modernen Staats und der modernen Wirtschaft; dies jedoch ohne dass zuvor geprüft wird, was sie eigentlich dazu beitragen können. Ebenso wenig wird gefragt, ob die der Wirtschaftskritik zugrundeliegenden Basisannahmen überhaupt mit der Botschaft der neutestamentlichen Texte vereinbar sind. Der Forschungsschwerpunkt untersucht insbesondere diese Fragestellungen. So geht es beispielsweise darum, die Lehre Jesu, wie sie in der Synoptischen Tradition vorliegt, zusammenzustellen und sie einer kritischen Relecture durch ökonomische Basisannahmen, Analysemethoden und Denkmodelle, wie beispielsweise das Nullsummenparadigma, das Gefangenendilemma oder den homo oeconomicus zu unterziehen.