Modell für Praktika am Lehrstuhl
Praxis und Theorie der Praxis am Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts
Hans Mendl/Rudolf Sitzberger. Überarbeitete Version zum Beitrag in: Netzwerk ReligionsleherInnen-Bildung, hg. von Hans Mendl, Donauwörth 2002, S.146-152
1. Ausgangssituation
Gerade ein Lehrstuhl, welcher von seinem Selbstverständnis her am Schnittpunkt zwischen Theorie und Praxis angelegt ist, weckt auch bei Studierenden besondere Erwartungen: Bei anderen Fächern wird – wie die Feldstudie ergeben hat – eine gewisse "Theorielastigkeit" toleriert, der Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts sollte aber schon eine gehörige Portion Anwendungswissen für den späteren Beruf als ReligionslehrerIn "bringen". Dreh- und Angelpunkt für ein gelingendes (oder misslingendes!) gegenseitiges Durchdringen von Theorie und Praxis in Verbindung mit einem „Testen des beruflichen Ernstfalls“ stellt das studienbegleitende Praktikum dar. Wie die folgende Darstellung verdeutlichen will, wird auf die Ausgestaltung und Ummantelung des Praktikums mit verschiedenen theoretischen, reflexiven und praxisorientierten Bausteinen ein besonderes Augenmerk gelegt.
2. Vorgaben der Lehramtsprüfungsordnung
Aus der derzeit gültigen Lehramtsprüfungsordung (LPO I, 2008) wird ersichtlich, dass die Regelungen zu den Praktika auf drei Paragrafen verteilt sind.
So findet sich zunächst eine Regelung für das Fachstudium für alle Lehrämter:
nach §34 (1)
- ein Betriebspraktikum (8 Wochen),
- ein Orientierungspraktikum (3-4 Wochen),
- ein pädagogisches-didaktisches Schulpraktikum von 150-160 Stunden und
- ein studienbegleitendes fachdidaktisches Praktikum
und zusätzlich für das Didaktikstudium an Grund- und Mittelschule
nach §36 (1) 1. und §38 (1) 3.
- ein zusätzliches studienbegleitendes Praktikum
Obwohl die Praxisteile im Studium durchaus zu würdigen sind, fordern besonders die Grund- und Hauptschulstudierenden einen noch größeren Praxisanteil. [1] Theoretisches Fachwissen wird nach wie vor bei den Gymnasialstudierenden für wichtiger erachtet als Praxisorientierung. Im Hinblick auf den ohnehin noch immer sehr stark kognitiv ausgerichteten Gymnasialunterricht ist diese Orientierung im Hinblick auf methodisch-didaktische Erneuerung des Unterrichts besonders schwerwiegend.
Bei der Bewertung der einzelnen Praktika durch die Studierenden zeigen sich ambivalente Aussagen: zum einen werden die Blockpraktika als sehr positiv erlebt und erfahren, jedoch bemängeln die Studierenden hier die oftmals fehlende fundierte reflexive und theoretische Begleitung. Diese wird in der Regel bei den studienbegleitenden Praktika als sehr hilfreich empfunden, beklagt wird jedoch bei diesen, dass durch die Verteilung des Praktikums auf die Mittwochvormittage während des Semesters keine richtige Beziehung zur Schule und den Schülern hergestellt werden kann: Es kommt keine rechte Leidenschaft („pädagogischer Eros“) auf, wenn man nur zum Unterrichten in die Klasse kommt! Im Grunde zeigt sich das generelle Problem zwischen Theorie und Praxis: „Theorie ohne Praxis ist leer, Praxis ohne Theorie ist blind.“ Es gilt von daher beides miteinander zu verknüpfen und in einer Theorie der Praxis konkret und anschaulich erfahrbar und fruchtbar zu machen.
3. Konzeption des Lehrstuhls: Netzwerk Praktikum
An unserem Lehrstuhl wird diese Theorie-Praxis-Praxisreflexion-Koppelung mit folgendem Konzept umgesetzt: Ein zentrales Herzstück bei der Betreuung der Studierenden an unserem Lehrstuhl sind die fachdidaktischen Praktika, die in Verbindung mit einer begleitenden Lehrveranstaltung durchgeführt werden. Folgende Bausteine sollen möglichst intensiv miteinander vernetzt werden:
Unmittelbar zum Praktikum gehören folgende Veranstaltungen, die im selben Semester abzuleisten sind:
- der Workshop zu Semesterbeginn,
- die begleitende Lehrveranstaltung (Analyse-Seminar)
- und eine exemplarische Unterrichtsbesprechung (Didaktische Analyse).
Den größeren Rahmen bilden die Vorlesungen "Kontextuelle Religionspädagogik", "Grundfragen religiöser Erziehung (EWS-Bereich)"und die Didaktik-Vorlesungen "Theorie religiösen Lernens I-III", von denen wenigstens eine bereits vor dem Praktikum besucht worden sein sollte.
Als weiteres, nunmehr in die Modularisierung eingebettetes Projekt läuft seit dem Wintersemester 2001/2002 die sogenannte "Lernwerkstatt Religionsunterricht": In ihr treffen sich Studierende, Referendarinnen und Referendare sowie Lehrkräfte zu verschiedenen aktuellen Themen aus der Religionspädagogik, um im Schnittpunkt zwischen Theorie und Praxis Erfahrungen und Gedanken auszutauschen.
Das studienbegleitende Praktikum findet in enger Kooperation mit den Praktikumslehrkräften statt. Dazu gehört selbstverständlich, dass ein Lehrstuhlmitarbeiter an den Mittwochvormittagen an die Schulen hinausfährt und bei den Unterrichtsversuchen und der anschließenden Besprechung mit dabei ist. Sein Beitrag bei der Planung und Besprechung besteht in der religionspädagogischen Reflexion: Was in Vorlesungen und besonders im Begleitseminar an Theorie-Elementen erläutert wird, muss hier geerdet – veranschaulicht, problematisiert, verifiziert oder falsifiziert werden. Diese wichtige Aufgabe wird jedoch durch die große Anzahl an Studierenden zunehmend problematischer, weil nicht alle an allen Schulen besucht werden können. Es ist deshalb dringend erforderlich, dass an dieser wichtigen Schnittstelle zwischen Schule und Iniversität, zwischen Theorie und Praxis entsprechend Personal zur Verfügung steht!
Neben dem ständigen Kontakt während des Praktikums wird mit den Praktikumslehrkräften in jedem Semester ein Treffen durchgeführt, in dem Erfahrungen ausgetauscht und aktuelle methodische und didaktische Fragestellungen thematisiert werden: Modelle der Unterrichtsbesprechung, der Veranstaltungsevaluation, aber auch religionsdidaktische Schwerpunktthemen (z.B. Symboldidaktik, Freiarbeit), Einführung in neue Lehrpläne etc.
Am Beginn eines jeden Praktikums findet für die Studierenden in der ersten oder zweiten Woche des Semesters der sogenannte Workshop statt. Innerhalb eines Nachmittags werden verschiedene Methoden und Möglichkeiten modernen Religionsunterrichts von verschiedenen Referenten vorgestellt und dann mit den Studierenden durchgeführt.
Wichtig ist es uns dabei, dass eine Methode sowohl theoretisch dargestellt, als auch praktisch durchgeführt und auf einer Metaebene dann reflektiert wird. Diese Methoden sind so ausgewählt, dass einerseits ein möglichst breites Spektrum abgedeckt wird, andererseits aber auch nur solche erarbeitet werden, die dann von den Studierenden selbst im Praktikum umgesetzt werden können. Trotz des doch sehr anspruchsvollen und anstrengenden Programms in diesem Workshop bekommen wir durchwegs positive Resonanz auf die 5-stündigen Intensiv-Einheiten. Ein beabsichtigter Nebeneffekt ist, dass die Veranstaltung in Kooperation mit dem Mentorat für Lehramtsstudierende und dem Religionspädagogischen Seminar durchgeführt wird. Diese Durchlässigkeit und der personelle Austausch zwischen den verschiedenen Phasen der Lehrerbildung ist ja auch eine Forderung der Kultusminister-Konferenz. [2]
Größter und wichtigster Baustein ist das praktikumsbegleitende Analyse-Seminar. In ihm gilt es zwei Teilelemente zu verbinden: die Unterrichtsversuche der Studierenden und die theoretische Analyse des Religionsunterrichts. Die Erfahrungen zeigen, dass für die StudentInnen die Vorbesprechung ihrer Unterrichtsentwürfe den höchsten Stellenwert besitzt. Da jedoch eine Praxis ohne Theorie blind ist, und eine rein praxisorientierte Besprechung ins Blaue hinein keine tiefergehenden Erkenntnisse zu Tage fördert, muss die Theorie dazu in Bezug gesetzt werden. Dies kann für alle Beteiligten am Besten dadurch geschehen, dass theoretische Erkenntnisse mit den konkreten Unterrichtsentwürfen in Beziehung gesetzt werden. Am Beginn des Praktikums kann so die Beschäftigung mit den Lehrplänen der Praktikumsklassen stehen, und damit gleichzeitig über Aufgaben und Ziele des Religionsunterrichts diskutiert werden.
Desweiteren gilt es bei der Begründung der Unterrichtsstunde eine weitreichende Kontextanalyse durchzuführen und vor allem das Thema der Stunde mit dem Modell der Didaktischen Elementarisierung aufzubereiten. Dabei sollen die Studierenden an ihrer Unterrichtsstunde elementare Strukturen, Erfahrungen, Zugänge und Wahrheiten aufzeigen und so ihren Unterrichtsentwurf auch theoretisch begründen.
Neben der Vorbesprechung der Entwürfe kann auch im Seminar gelegentlich eine Nachbesprechung erfolgen [3]. Auf alle Fälle muss die Unterrichtsstunde von den Studierenden kritisch reflektiert werden.
Zusätzlich zum Seminar erfolgt in Einzelgesprächen eine weiterreichende, exemplarische didaktische Analyse einer Unterrichtsstunde der Studierenden. Anhand dieser konkreten Stunde wird die Vorbereitung einer Religionsstunde mit Hilfe unseren sogenannten Fahrplans in allen Facetten besprochen, so dass die Studierenden am Ende eine mustergültige Vorbereitung einer Religionsstunde erarbeitet haben. Mit einem umfangreichen Reader soll die didaktische Wahrnehmung und Aufmerksamkeit der Studierenden geschult werden. Theorieelemente aus Vorlesungen und Begleitseminar werden prägnant thematisiert und sollen auf die eigene Unterrichtsstunde gewendet reflektiert werden. Das Ausfüllen des Fahrplans ist mit einem gewissen Arbeitsaufwand verbunden. Der Gewinn besteht aber darin, dass im Sinne exemplarischen Lernens die Studierenden zumindest einmal in ihrem Studium eine Unterrichtsstunde idealtypisch nach allen Regeln der Kunst fundieren und reflektieren! Die Erfahrung zeigt, dass denjenigen, die diese Aufgabe ernst nehmen, die Erstellung der didaktischen Handakte (Seminararbeit) um einiges leichter von der Hand geht und auch die Ergebnisse weit professioneller wirken als bei solchen, die schon den Fahrplan oberflächlich bearbeiten. Auch dies ist ein bescheidener Beitrag für das geforderte "Ende der Beliebigkeit" im Studium!
Die meisten Studierenden nehmen in den ersten Semestern an der Erziehungswissenschaftliche Vorlesung "Grundfragen religiöser Erziehung" teil und lernen dort Theoriebausteine (z.B. zur religiösen Entwicklung oder zu den Zielen und Formen religiöser Erziehung) kennen, deren Nagelprobe dann im Praktikum erfolgt.
Die religionspädagogische Hauptvorlesung "Kontextuelle Religionspädagogik" vertieft die Frage nach den Herausforderungen für religiöse Lernprozesse im Kontext moderner Lebenswelten. Es bietet sich an, diese eher in einer fortgeschrittenen Phase des Studiums zu besuchen.
Der Besuch des dreisemestrigen Didaktik-Zyklusses wird im zeitlichen Umfeld der Praktika empfohlen: Je nach Möglichkeit kann eine Didaktik-Vorlesung noch vor, oder aber wenigstens parallel zum Praktikum besucht werden. Hier zeigen bereits erste Erfahrungen mit denjenigen, die in diesem Semester erstmals sowohl die Vorlesungen, als auch das Gesamtsetting am Lehrstuhl durchgemacht haben, dass diese wesentlich besser die theoretischen Grundlagen mit ihrer eigenen Praxis im Praktikum verknüpfen und das Praktikum gewinnbringender gestalten können.
Im Bereich zwischen Vorlesungen und Praktikumsseminaren ist die Lernwerkstatt Religionsunterricht angesiedelt. Einerseits liefert sie religionspädagogisches und -didaktisches Grundlagenwissen, andererseits holt sie die Praxis mit an die Universität: Verschiedene Referenten laden dazu ein, neue Unterrichtsformen und -methoden kennenzulernen und auszuprobieren.
Dabei wird ein dreifacher Theorie-Praxis-Zusammenhang angestrebt:
- Thema: Aktuelle didaktische Fragestellungen und Konzepte werden auf ihre Praxistauglichkeit hin untersucht. Dazu gehören unter anderem folgende Themen: Lernzirkel, Freiarbeit, Zugänge zu Bildern, Kirchenraumpädagogik, Musik, Videoclips, PC und Internet, meditative Elemente etc.
- Leitung: Die Referenten sind reflektierende Religionspädagogen aus Universität, Lehrerbildung und Schulen verschiedener Schularten und für verschiedene Altersstufen.
- Teilnehmende: Studierende, Referendare und Lehrkräfte können teilnehmen und die methodischen Fragestellungen auf ihrem jeweiligen Erfahrungs- und Lebenshintergrund reflektieren.
4. Fazit
Der Erfolg oder Misserfolg eines Praktikums hängt wesentlich von drei Faktoren ab:
- den Studierenden als eigenverantwortlichen Gestaltern,
- den Begleitlehrerkräften an den Schulen und
- der konzeptionellen Verknüpfung in der Lehrveranstaltung an der Universität.
Nur wenn alle drei Beteiligten an einem Strang ziehen und die verschiedenen Ebenen gut aufeinander abgestimmt sind, kann das Praktikum zu einem Erfolg werden. Die Frage nach der Quantität von Praktika sollte nur vor dem Hintergrund einer effektiven Nutzung der bestehenden Möglichkeiten und der konzeptionellen Ausgestaltung der bestehenden Praktika beantwortet werden.
In pädagogischer und hochschuldidaktischer Hinsicht besonders unsinnig ist es, Praktika „ableisten“ zu lassen, ohne sie in einer Form, wie dies hier beschrieben wird, mit Theorie- und Reflexionselementen zu ummanteln. Dies ist die Stärke unseres Modells.
Fußnoten
[1] Zu möglichen Erklärungsmustern siehe auch den Beitrag von R. Güth.
[2] Vgl. Terhart, Ewald (Hg.) (2000), Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland, Weinheim u. Basel, 20-21; 118-120.
[3] In der Regel erfolgt die Nachbesprechung im Anschluss an die gehaltene Stunde mit dem Praktikumslehrer oder der Praktikumslehrerin vor Ort. Wünschenswert wäre es, wenn ein Lehrstuhlmitarbeiter wenigstens bei einer der drei geforderten Stunden der Studierenden anwesend sein könnte. Zum Zeitproblem dazu: siehe oben.